Hi Felix, hi Tommi (in alphabetischer Reihenfolge),

ich habe jetzt so ungefähr alle Folgen des einflussreichsten Podcasts Europas durchgehört. Es gibt mittlerweile 41 Episoden „Gemischtes Hack„, die jeweils mehr oder weniger eine Stunde lang sind, je nachdem in welchem Aggregatzustand ihr euch bei der Aufnahme befunden habt. 

Ich brauche eine knappe Stunde bis zur Arbeit. Da schafft man einiges. Ich will nicht behaupten, dass mir eure Mischung aus völligem Nonsens, schwarzem Humor und bissiger Sozialkritik einen beruflichen Vorteil verschafft, aber zumindest sorgt es für gute Laune.

Alles in allem habe ich euch, wenn man es mal durchrechnet, fast zwei ganze Tage meines Lebens gewidmet. Oder ihr mir. Auslegungssache.

Das allein wäre für mich jetzt kein Grund, mich öffentlich anzubiedern. Aber es gibt ein konkretes Thema, welches ihr nun bereits mehrfach adressiert habt, zu dem ich ein paar möglicherweise mitteilenswerte Gedanken habe.

Bereits in einer der ersten Folgen ging es darum, dass die Menschen wohl mehr Liebe für das deutsche Steuersystem aufbringen würden, wenn sie tatsächlich etwas mehr direktes Mitspracherecht hätten. Bereits da hatte ich den Impuls euch anzuschreiben, weil ihr mir diesbezüglich voll aus der Seele gesprochen habt. Da ich die Folge aber ungefähr mit 3 Monaten Zeitversatz gehört habe, legte ich den Plan als zu diesem Zeitpunkt längst wieder irrelevant ad acta.

Nun hat Tommi aber kürzlich in der Jubiläums-Folge #40 mit dem eingängigen Titel „England abschaffen“ vorgeschlagen, dass ihr das Thema Steuermitgestaltung als gesellschaftspolitische Maßnahme 2019 auf die Agenda heben solltet. Das war für mich ein schicksalsträchtiger Wink mit dem Zaunpfahl.

Meiner bescheidenen Meinung nach sind Steuern ein erstklassiges Beispiel für ein „Underrated Hack“ (Anmerkung der Redaktion: dabei handelt es sich um eine regelmäßige Kategorie innerhalb des Podcasts, bei der Tommi und Felix alltägliche Dinge wertschätzen, die sonst nicht die angemessene Aufmerksamkeit erhalten. Prominente Beispiele sind „Schatten“ und „Wundheilung“). Einen Großteil unseres gesellschaftlichen Wohlstands haben wir dem Steuersystem zu verdanken. Bildung, Infrastrukutur, soziale Absicherung und Autobahnen hätten nicht annähernd die heutige Qualität, wenn es keine Steuern gäbe.

Und trotzdem sind die Top Einträge bei Amazon zum Thema Steuern in der Regel Steuervermeidungs-Ratgeber: „1.000 ganz legale Steuertricks“ oder „Steuern sparen: Die Steuerbibel für Arbeitnehmer„. Steuern haben ein viel zu schlechtes Image in Deutschland. Und das liegt unter anderem daran, dass niemand genau weiß, was mit dem hart verdienten Geld wirklich passiert.

In Dänemark, wo die Steuerbelastung sogar noch höher ist als hier, zahlen die Leute die Steuern mit einem Lächeln. Und auch wenn Dänemark euch zufolge kein anerkannter Staat sein sollte (Anmerkung der Redaktion: vermutlich ist diese Forderung nicht ganz ernst gemeint), so lohnt es sich doch darauf zu schauen, worauf sich die überdurchschnittlich hohe Steuerzahlungsbereitschaft begründet. Der gemeine Däne an sich spürt nämlich scheinbar sehr genau, dass der Staat das Geld größtenteils in seinem Interesse ausgibt.

Vor diesem Hintergrund habe ich mir bereits letztes Jahr konkrete Gedanken darüber gemacht, wie man in Deutschland den Ruf des Steuersystems rehabilitieren und mehr Mitgestaltung ermöglichen könnte. Daraus ist ein 5-Punkte-Plan entstanden, den ich euch gerne vorstellen möchte. Bisher fehlte mir ein konkretes Puzzleteil, um diesen Plan zu verwirklichen. Es steht und fällt alles damit, dass man eine kritische Menge an Menschen für diese Idee begeistert. Möglicherweise könntet ihr nun dieses fehlende Puzzlestück ergänzen und den Plan in die Tat umsetzen. Needless to say, bei Bedarf würde ich selbstredend auch unterstützen.

Schritt 1: Liebling, ich habe die Steuern verstanden

Zu allererst muss es gelingen, dass Menschen sich wieder stärker für das Steuersystem interessieren. Und zwar in einem positivem Sinn. Meine Hypothese: Wenn Menschen genau sehen könnten, wofür die Steuern in welchem Umfang eingesetzt werden, würde daraus ein besseres Verständnis für den Wert von Steuern entstehen. Mit diesem Wissen könnten sie sich eine fundierte Meinung darüber bilden, was konkret im Interesse der Allgemeinheit geändert werden sollte.

Bisher werden Steuerausgaben in den Medien sehr isoliert betrachtet. Beispiel: „Bund gibt mehr als 50 Millionen Euro für saubere Luft“ Aber solche Zahlen müsse ins Verhältnis gesetzt werden. Im Vergleich zu meinem Bruttoeinkommen sind 50 Millionen Euro schon eine Hausnummer. Amazon macht so viel Umsatz in zwei Stunden.

Um den Menschen also  einen einfachen Zugang zum deutschen Steuersystem zu geben, wird eine Webseite aufgesetzt, wo interessierte Nutzer einige Eckdaten (z.B. Einkommen, monatliche Ausgaben, Wohnort) eingeben und dann auf einen Blick sehen können, welcher Anteil des Geldes in welche Resorts fließt.

Beispiel: Gehalt 3.000€ brutto.  Das entspricht 180€ Lohnsteuer pro Monat. Davon werden laut Bundeshaushaltsplan 2018 etwa 9€ in Bildung und Forschung investiert und 18€ in die Verteidigung. Damit kann man doch arbeiten, richtig?

Schritt 2: Ey Mann, wo sind meine Steuern

Wenn sich diese Webseite bewährt und regelmäßig genutzt wird, kann man im nächsten Schritt guten Gewissens eine App entwickeln, die dieses Konzept ganz konkret für die jeweiligen Nutzer personalisiert. Mein international tauglicher Arbeitstitel für die App lautet: „Dude, where are my Taxes„.

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Das heißt, ich installiere mir die App auf meinem Smartphone, gebe meine persönlichen Daten ein und kann von nun an jeden Monat genau nachvollziehen, welcher Anteil meines Geldes, für welche Initiativen eingesetzt wurde.

Diese Informationen kann man hervorragend visuell aufbereiten. Die Nutzer könnten ihren ganz persönlichen Beitrag zum gesellschaftlichen Wohlstand auf einen Blick einsehen. Ich habe jetzt nicht direkt eine psychologische Ausbildung genossen, aber ich sag mal so: es hat schon einen Gründe, warum sich Leute besser um ihr eigenes Auto kümmern als um den Mietwagen. Eigentum verpflichtet und so. Das Beispiel funktioniert auch mit anderen Dingen. Oder Kindern. 

Wie auch immer. Auf diese Weise können auch klassische Fehleinschätzungen ins richtige Licht gerückt werden. Von den 180€ Lohnsteuer im obigen Beispiel fließen beispielsweise nur etwa 4€ in flüchtlingsbezogene Leistungen aber immerhin 18€ in Verkehr und Infrastruktur. Netter Nebeneffekt: auch über die Baustellen auf der Autobahn regt man sich tendenziell weniger auf, wenn man weiß, dass man diese mitfinanziert hat.

Darüber hinaus könnten die Nutzer von Dude, where are my Taxes aka DWAMT (wie ich es twittertauglich abkürzen würde) auch über konkrete steuerrelevante Entscheidungen informiert werden. Welche Änderungen stehen gerade zur Diskussion und was für Auswirkungen hätten die auf die eigene Beteiligung? Das betrifft sowohl die Anpassung der Steuersätze als auch die konkrete Verwendung der Mittel. Sobald die Menschen also konkret erfahren, wie ihr Geld wo eingesetzt werden soll, wird auch das Bedürfnis wachsen, diese Verwendung mitzugestalten. Damit kommen wir zum dritten Schritt.

Schritt 3 – Meine Partei, die Steuern und ich

Höchstwahrscheinlich kann man nicht mal eben eine Änderung des Steuersystems dahingehend veranlassen, dass der schnöde Pöbel unseren versierten Vertretern in der Politik plötzlich vorschreiben darf, wie die Kohle verteilt wird. Aber wenn genügend Menschen DWAMT nutzen, dann könnte man zumindest eine Art Wahlomat integrieren, der als Unterstützung zur politischen Meinungsbildung beiträgt.

Nutzer können dann angeben, dass sie von ihren 180€ Lohnsteuer gerne 30€ in den Ausbau von Kita-Plätzen investieren würden, 50€ in die Rettung des Goldregenpfeiffers und 100€ in die Abschaffung des professionellen Motorsports. Die App würde basierend darauf dann eine Partei ausspucken, die diesen Anforderungen gemessen am Parteiprogramm am ehesten gerecht wird. Für die Berliner unter uns wäre die Wahlempfehlung in diesem Fall dann möglicherweise der Direktkandidat Felix Lobrecht. 

Goldregenpfeiffer
Goldregenpfeiffer von Sylvain Haye (Lizenz CC BY-SA 3.0)

Schritt 4 – Im Auftrag des Steuerzahlers

Basierend auf den Wünschen der zahlreichen Nutzer wird ein konkrete Empfehlung für die Verwendung der Mittel im kommenden Haushaltsplan erstellt. Damit hätten wir das #Hype Thema Big Data direkt auch mit untergebracht.

Der Mechanismus könnte folgendermaßen funktionieren. Es gibt eine zentrale Übersicht, wo alle Investitionswünsche der Nutzer gesammelt und ins Verhältnis gesetzt werden. Das wird übersetzt in eine Struktur, die dem klassischen Haushaltplan entspricht. Also wenn beispielsweise ausreichend Leute einen Teil ihrer Steuern für die Finanzierung von zusätzlichen Lehrerstellen einsetzen möchten, dann wird das dem entsprechenden Unterpunkt im Haushaltsresort „Arbeit und Soziales“ hinzugerechnet. Je mehr Leute die DWAMT App nutzen, desto repräsentativer wird das Bild für die gesamte Gesellschaft. 

Das wäre nicht nur steuerpolitisch relevant. Daraus könnten sich ganze gesellschaftliche Trends und Tendenzen ableiten lassen. Welche Themen sind den Menschen wirklich wichtig? 

Diese Auswertung wird nicht nur allen Parteien zur Verfügung gestellt. Wenn eine kritische Masse an Bürgern den gewünschten Einsatz der Steuergelder transparent gemacht haben, dann schafft es das Ergebnis sicherlich auch in die Tagesschau. Das Erstverwertungsrecht liegt in dem Fall natürlich bei „Gemischtes Hack„. Mit einer ausführlichen Analyse von Tommi Schmidt und Felix Lobrecht wäret ihr dann auch politisch der einflussreichste Podcast Europas.

Schritt 5 – Die glorreichen Steuern

Kommen wir zum Endgegner: die langsamen Mühlen der Politik. Angenommen 5 Mio. Leute würden Dude, where are my Taxes benutzen. Ich weiß, das klingt erstmal latent größenwahnsinnig. Aber als Quizduell auf dem Zenit stand, waren allein in Deutschland bis zu 10 Millionen Nutzer aktiv. Also angenommen es gäbe 5 Mio. DWAMT Nutzer. Da könnt ihr euch aber mal sicher seine, dass die Parteien irgendwann merken, welches Wählerpotential es hätte, die direkte Beteiligung am Steuersystem ins Wahlprogramm aufzunehmen. Wahrscheinlich merken sie es später als alle anderen, aber sie merken es.

Und die Dude, where are my Taxes App wäre als Werkzeug für die Umsetzung dieser Idee gesetzt. Wenn das Steuersystem letztendlich tatsächlich dahingehend geändert werden würde, dass 5% der Steuermittel entsprechend dem in Schritt 4 berechneten Schlüssel eingesetzt werden müssen, dann wäre euer Ziel erreicht. 

Wenn das tatsächlich funktioniert, dann würden sich die Menschen ganz sicher sehr viel stärker mit der Politik auseinandersetzen als bisher. Weil dann hätten sie eine echte, direkte Mitbestimmungsmöglichkeit. Und wir hätten mit völlig unpolitischen Mitteln das Steuersystem revolutioniert. Also bei aller Bescheidenheit. Ich finde das brilliant.

Eure Wahl

So lieber Felix, lieber Tommi. Jetzt mal Butter bei die Fische.  Ich bin mir sicher, dass sich in die recht verkürzte Darstellung einige Unklarheiten oder gar Fehler eingeschlichen haben. Diese wird Felix, der Politikwissenschaft in Marburg studiert hat (wissen ja die Wenigsten), sicher knallhart identifizieren und analysieren. Aber am Ende steht die Frage: Ist das grundsätzlich von der Idee her ein überzeugendes Konzept oder habt ihr schon einen besseren Plan? Wenn Ersteres, dann lasst es mich gerne wissen. Ansonsten, weitermachen!

Viele Grüße, Gregor.

Steuerrevolution in 5 einfachen Schritten – Offner Brief an „Gemischtes Hack“
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One thought on “Steuerrevolution in 5 einfachen Schritten – Offner Brief an „Gemischtes Hack“

  • 11. Oktober 2018 at 12:39
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    Hallo Gregor,

    interessante Gedanken muss ich sagen. Mitentscheidung fördert das Bewusstsein und ebenso ein gewisses Verantwortungsgefühl. Dies bedeutet auch Identifizierung wie das Geld für die Bereiche, für die man gestimmt hat, eingesetzt wird. Es geht also über die reine Bürger-bestimmte Aufteilung hinaus.

    Für DWAMT wären aber zu klären, welche Bereiche bzw. Themen gelistet werden sollten (Freitext alleine lässt sich nur äußerst schwer auswerten).
    – Es gibt wesentlich mehr Bereiche, in die das Geld fließt, als uns Bürger wahrscheinlich bewusst ist.
    Sollen alle gelistet werden und woher kommt also die immer aktuell zu haltende Information?
    – Oder sollten die Bereiche mehr allgemein gehalten werden? Straßenbau, Verteidigung, Familienpolitik,
    Kultur,…?
    – Sind sich die Bürger auch über die Konsequenzen ihrer Aufteilung bewusst (Extrembeispiel:
    Verteidigung erhält plötzlich nur noch 5 % vom aktuellen Budget, was die Bundeswehr wohl
    arbeitsunfähig machen würde)? Mündiger Bürger heißt auch, dass er sich mit den Themen entsprechend
    auseinandersetzt und nicht nur aus dem Bauch entscheidet.
    – Basieren die Entscheidungen nur auf kurzfristige aktuelle oder rein persönlichen Anliegen oder wird
    auch mittel- und langfristig gedacht? Wenn ich mir so manche Abstimmungen ansehe, nehme ich ersteres
    an. Wollen wir dies?
    – Soll DWAMT nur auf Bundesebene oder auch auf Bundesland, Landkreis und Gemeindeebene benutzt
    werden? Würden sich Abstimmungen ab Gemeindeebene bis auf Bundesebene, zumindest teilweise
    skalieren lassen?

    2 wichtige Punkte bzw. Probleme, die gelöst werden müssen, fehlen mir, die ich aber für eine Grundlage
    halte:
    1. Die Steuergesetze müssen so angepasst werden, damit sie jeder verstehen, nachvollziehen und als
    gerecht empfinden kann.
    Wenn heute z. B. jemand, der T-Shirts verkauft, einer Kinderfussballmannschaft welche als Trikots spendet,
    dann rechnet das Finanzamt ihm dafür einen „marktüblichen“ Gewinn an, den er zu versteuern hat.
    D. h. er muss etwas versteuern, was er nie eingenommen hat. Dies wohl basierend auf dem gesetzlich
    zementierten Generalverdacht, dass jeder versucht den Staat um seine Steuern zu bringen.
    2. Nur, wenn die Steuern zu den gewählten Bereichen auch effektiv eingesetzt werden, werden die Bürger
    anfangen, sich zu identifizieren und sich verantwortlich zu fühlen.
    Zum Beispiel sind 15 % für Straßen ja gut und schön, wenn aber 5 % durch schlechte
    Ausschreibungspraktiken, schlampige Initialplanung bzw. Ausführung verschwendet
    werden, wird sich die Bevölkerung wieder nur ausgeliefert fühlen (BER, Ausbau A94, Stuttgart 21, um nur
    ein paar Beispiele zu nennen. Im Falle der A94 hat selbst das Gericht dem bestätigt, dass der Staat sich auch
    für die schlechte Lösung entscheiden kann, was praktisch einem Verschwendungsfreibrief gleichkommt.).

    DWAMT ist im Gesamtgefüge nur ein, wenn auch ein sehr wichtiger, Baustein. Aber vielleicht lassen sich diese Punkte darüber auch anbringen.

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