Nächste Woche ist Herbstanfang. Und mit dem Herbst kommen die jährlichen Leistungsbeurteilungen. Das Performance Review. Das bedeutet, das jeder Mitarbeiter von anderen Mitarbeitern auf die Qualität der individuellen Aktivitäten hin bewertet wird. Das hehre Ziel ist es, damit dann die persönliche Weiterentwicklung zu fördern. Und ganz nebenbei braucht man ja auch eine Begründung für die vollständige oder – je nach Feedback – vielleicht auch nur teilweise Auszahlung der Jahresboni. 

Ich selbst muss mich beruflich seit über zehn Jahren mit bonusrelevanten, persönlichen Zielen auseinandersetzen. Und mit der anschließenden Bewertung. Mal als Zielsetzer, mal als Zielemfpänger. Eine kleine Tweetkombination von Mark Poppenborg und Tobias Leisgang hat mich heute wieder einmal eindrücklich daran erinnert, was mich an diesem System so stört. 

Wofür wir individuelle Leistung messen, habe ich bereits beschrieben. Die eigentliche Frage ist, ob wir damit wirklich die gewünschten Effekte erzielen?

Statistik ist nur was für Fans

Bleiben wir mal beim Sport (ich liebe Sportanalogien). Letztes Jahr beim 51. Superbowl hat Tom Brady als Quarterback der New England Patriots innerhalb von 23 Minuten einen 25-Punkte Rückstand aufgeholt, das Spiel gedreht und damit den 5. Superbowl Sieg in seiner 18-jährigen Karriere geholt. Er hat sich damit den – zugegeben sehr pathetischen – Titel G.O.A.T, also Greatest of all Times, gesichert.

Aber wie genau hat er das geschafft? Welche individuellen, messbaren Fähigkeiten haben das ermöglicht? Fakt ist, dass er der langsamste, behäbigste Quarterback der gesamten NFL ist. Er hat keinen besonders harten oder präzisen Wurf und ist nicht besonders wendig. Seine persönlichen Statistiken sind teilweise unterirdisch, weshalb er im Jahr 2000 auch nur ganz knapp an vorletzter Stelle in den Kader der New England Patriots geholt wurde. Und trotzdem schafft er es in kritischen Situationen immer wieder, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Er kann sein Team und das gegnerische Team lesen und weiß intuitiv, was zu tun ist, wenn es hart auf hart kommt. Diese Stärke, in schwierigen Situationen die Ruhe zu bewahren, und auch beinahe verlorene Spiele wieder zu drehen, hat ihm unter anderem auch den Spitznamen Comeback Kid eingebracht,

Aber wie würde jetzt eigentlich das jährliche Performance Review aussehen, wenn der Headcoach der Patriots, Bill Bellichick, sein Team so führen würde, wie das in der Wirtschaft gang und gebe ist:

Bellichick: "Hallo Tom. Setz dich."

Tom: "Hallo Coach"

Bellichick: "Wie geht's Tom?"

Tom: Gut soweit. Meine Finger reichen bald nicht mehr für unsere ganzen Superbowl Ringe. *lacht*

Bellichick: Ach ja, das. Ähm. Herzlichen Glückwunsch nochmal. Das war eine wirklich gute Teamleistung. Als Organisation haben wir damit unser Jahresziel erreicht.

Tom: In der Tat, Coach.

Bellichick: Aber darum soll es heute nicht gehen. Heute sprechen wir über dich.

Tom: Ach Coach. Da brauchen wir jetzt kein großes Ding draus zu machen. Ich mache ja auch nur meinen Job.

Bellichick: Genau darum geht es Tom. Du bist nach wie vor der langsamste Quarterback der Liga. Wir hatten Anfang der Saison darüber gesprochen. Wenn Du wirklich vorankommen möchtest, dann musst du an deiner Spritzigkeit arbeiten.

Tom: Wie bitte?

Bellichick: Wir hatten Anfang der Saison ganz klare Ziele für dich definiert. *blättert in seinen Unterlagen* Die 40 Yards in unter 5,5 Sekunden rennen. Außerdem solltest du eine Passquote von mindestens 70% erreichen. Mit 66% bist du nicht mal in den Top 20. Und du wurdest 35 mal gesackt Tom. 35 mal. Das ist der 9t schlechteste Wert der Liga.

Tom: Aber Coach. Wir haben den Superbowl gewonnen. Ich war mit verantwortlich dafür, dass wir in 1,5 Vierteln einen 25 Punkte Rückstand aufgeholt haben.

Bellichick: Ja, das ist alles gut und schön. Aber darum geht es hier nicht. Wir haben Ziele vereinbart. Wir wollen beide, dass du dich weiterentwickelst. Du kannst nicht einfach weiter auf der Stelle treten. Wie soll ich das vor den anderen Teammitgliedern vertreten. Wir können nicht am Anfang der Saison gemeinsam Ziele vereinbaren und dann am Ende wird bei dir einfach mal ein Auge zugedrückt. Nur weil die anderen dieses Jahr so überragend performt haben. Denn Tom, da machen wir uns nichts vor: Du hast den Ball ja nicht sleber in die Endzone getragen. Du selber hast keine Punkte für uns gemacht.

Tom: Aber ich habe alles dafür gegeben, dass die anderen Punkte machen können. Ich habe immer wieder nach dem Training mit Dion Lewis zusammengesessen und die Passwege gesprochen. Ich habe Julian Edelman aufgebaut, als er einen Hänger hatte. Ich habe versucht, dass zu tun, was uns als Team besser macht.

Bellichick: Und das ehrt dich. Und genau solche Leute brauchen wir hier. Aber basierend auf den Statistiken hast du unsere gemeinsam vereinbarten Ziele nicht erreicht. Und ehrlich gesagt, auch von der Presse gab es während der Saison immer mal Kritik. Die habe ich mir sehr genau notiert. Ich möchte nicht, dass das jetzt untergeht, nur weil du letztes Wochenende zufällig einen sehr guten Tag erwischt hast.

Tom: Ok, und was heißt das jetzt?

Bellichick: Ja gut. Wir müssen jetzt fürs nächste Jahr noch härtere Ziele setzen. Und ja, da bin ich ehrlich, wir werden uns umschauen, ob es da draußen nicht ein paar schneller, fittere Quarterbacks gibt, die noch hungrig sind. Aber Deinen individuellen Bonus können wir natürlich nicht auszahlen. Das wirst du verstehen.

Tom: Hmpfff

Ich gehe fest davon aus, dass solche Gespräche bei den Patriots nicht stattfinden. Natürlich hat der Coach die Aufgabe, den Spielern Wege aufzuzeigen, wie sie besser werden können. Und dazu gehört auch die ganz persönliche Weiterentwicklung. Fitness. Teambuilding. Taktiken. Das alles muss gelernt und geübt werden. Und mit jedem Spiel erhalten die Spieler mehr Erfahrung. Und mit mehr Erfahrungen können sie bessere Entscheidungen treffen.

Aber individuelle Ziel, nach dem Motto: „Du musst mehr laufen„, „Du musst höher springen“ „Du musst mehr Pässe werfen“ werden dazu führen, dass die Spieler ihre Entscheidungen nicht mehr einzig und allein danach treffen, was für den Teamerfolg notwendig ist. Stattdessen werden sie immer versuchen, ihre persönlichen Ziele mit den Teamzielen in Einklang zu bringen. Und manchmal passt das vielleicht zufällig ganz gut, weil der Coach zu Anfang der Saison ein glückliches Händchen bei der Zieldefinition hatte.

Und manchmal passiert genau das Gegenteil. Dann steht das persönliche Ziel dem Teamziel im Weg. Und dann kann man nur hoffen, dass die Mitarbeiter weitsichtig genug sind ihren eigenen kurzfristigen Bonus hinter dem Unternehmenserfolg zurückzustellen. Ansonsten hat man irgendwann ein Team von Söldnern und Einzelkämpfern. Nicht weil „Menschen eben so sind“. Sondern weil das System sie dazu zwingt, sich zwischen dem persönlichen Erfolg und dem Unternehmenserfolg entschieden zu müssen.

Wenn also demnächst wieder Performance Reviews anstehen, tut bitte gar nicht erst so, als könnte man den individuellen Beitrag eines Mitarbeiters zum Unternehmenserfolg bis ins Detail messen. Das heißt übrigens nicht automatisch, dass alle Teammitglieder genau den gleichen Beitrag geleistet haben. Es gibt garantiert Menschen, die einen größeren Anteil am Erfolg hatten als andere (Tom Brady hätte sicherlich nicht einfach durch einen x-beliebigen anderen Quarterback ersetzt werden können). Aber akzeptiert zumindest, dass dieser Beitrag nicht objektiv und punktgenau mit konkreten Zahlen messbar ist.

Zum Abschluss kommt jetzt die herbe Enttäuschung. Ich habe keinen Vorschlag wie man dieses Performance-Review-Dilemma auflösen könnte.

Performance-Review-Dilemma1. Der Beitrag zum Unternehmenserfolg ist pro Mitarbeiter verschieden.2. In komplexen Systemen ist dieser Beitrag nicht objektiv messbar.3. Weder Teambonus noch individueller Bonus sind angemessene Abbildungen der Realität. Click To Tweet

Aber vielleicht hat jemand anderes ja eine Idee. Wenn also irgendjemand von euch das Gefühl hat, ein wirklich faires und transparentes System für die Bewertung von individuellen Beiträgen innerhalb einer Teamleistung hat, lasst gerne mal einen Kommentar da.

Dieser Beitrag ist im Rahmen der #ImproBlog Challenge entstanden. Jeden Tag nehme ich mir einen Tweet vor und kommentiere diesen innerhalb von 10-15 Minuten (ja liebe #10minBlog Mitstreiter, ich brauche doch immer einen Moment länger habe ich gemerkt, aber im Herzen bin ich bei euch.) Wenn euch, liebe Leser, das Format gefällt: eine Liste mit allen anderen #10minBlog Twitteraccounts findet ihr hier.

In meinem letzten #ImproBlog habe ich eine Idee weiter gesponnen, wie man unter dem Hashtag #Mutland der Angstmacherei etwas entgegensetzen könnte, indem man die positiven und mutigen Geschichten in die Öffentlichkeit bringt. Daraus hat sich ein spannendes Projekt entwickelt. Wer Interesse hat, schaut gerne mal vorbei: www.mutland.org

Performance Review für die Tonne – #ImproBlog
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