Freie Schulen, Freie Lehrer

Vor sechs Wochen las ich in der Zeitung, dass unsere bekannteste Mutter, Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, ihren 10-jährigen Sohn auf eine Schule in freier Trägerschaft schickt. Eigentlich keine große Sache. Nur in der Öffentlichkeit sehen das viele Menschen wohl anders. In den Zeitungen liest man die unterschiedlichsten positiven und negativen Meinungen darüber. Argumente wie „sie hat kein Vertrauen in ihr eigenes zu verantwortendes Schulsystem“, „Wasser predigen und Wein trinken“ bis hin zu „sie hat ja locker die Kohle, um sich gute Bildung für ihre Kinder zu leisten“. Die spannende Frage für mich ist:“Kannte sie damals schon die Ergebnisse, der am 13.10.2017 veröffentlichten Grundschulstudie mit dem vernichtetenden Ergebnis?“
Trotzdem ist sie eigentlich nur eine normale Mutter, die das Beste für ihr Kind will? Ich kann sie verstehen, aber etwas anderes begreife ich nicht. Warum es nicht möglich ist „freie Schulen“ den Staatlichen gleich zu stellen? Denn ich bin überzeugt, „die Freien“ konnten das Ergebnis der GrundschulStudie etwas nach oben korrigieren. Warum werden Lehrkräfte an freien Schulen, die ja, wenn man Frau Schwesigs Verhalten richtig interpretiert, offensichtlich einen guten Job machen, nicht besser vom Staat gefördert und unterstützt? Sie erfüllen doch wie ihre Kollegen auch einen gemeinsamen, staatlichen Bildungsauftrag. Was bedeutet eigentlich das Wort „Gerechtigkeit“, welches von den Sozialdemokraten in ihrem Wahlkampf so sehr strapaziert wurde, für die Bildung und die Schulen?

Was ist eigentlich gerecht in der Bildung?

Leider gibt es keine absolute Gerechtigkeit, sondern nur eine gefühlte. Das macht eine Einkreisung des Begriffes schon einmal ziemlich schwierig. Aber versuchen will ich es trotzdem einmal. Das liberale Konzept von Gerechtigkeit besagt, dass jeder die gleichen Chancen erhält ungeachtet dessen, was hinten dabei herauskommt. Auf der anderen Seite haben wir das sozialistische Verständnis, dass jeder irgendwie das Gleiche bekommen soll. Irgendwo dazwischen wird sich die SPD mit ihrem Begriff von Gerechtigkeit bewegen.

Was heißt dies nun für Bildungsgerechtigkeit? Immer mehr Menschen in diesem Land fühlen sich abgehängt. Gemeint sind unter anderem die, welche Sozialleistungen in Anspruch nehmen müssen und dadurch nur noch eingeschränkt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Deren Kinder werden vermutlich in bildungsfernen Milieus geboren und erhalten unter Umständen keine echte Chance in ihrem Leben. Aber auch diese Kinder haben bestimmte Eigenschaften oder Fähigkeiten, welche sie für die Gesellschaft wertvoll machen. Gerecht wäre es doch, wenn Lehrer diese Besonderheiten erkennen würden und ihnen helfen könnten, diese intrinsisch zu entwickeln. Man spricht hier auch von Potentialentfaltung. Vielleicht haben gerade diese Kinder eine besondere Sprachbegabung, eine Affinität gegenüber Zahlen, gehen unglaublich Einfühlsam mit anderen Menschen um oder sie lieben die Natur. Gerecht wäre doch jetzt eigentlich, wenn dieses Kind mit eben seinen besonderen Eigenschaften befähigt würde, einen Plan für sein Leben zu entwickeln.

Lehrer werden ist schon schwer, Lehrer sein noch viel, viel mehr

1996 bekam ich nach 10 Jahren Studium inkl. Referendariat und gefühlt einer „Milliarde – Million“ Prüfungen meine staatliche Bestätigung, dass ich nun Lehrer (ihr wisst schon, einer von den faulen Säcken) sei. 6 Monate später hatte ich meinen ersten Lehrerjob. Kinder im Fach evangelische Religion zu unterrichten war eine meiner ausgewiesenen Expertisen. So stand es auf dem Zettel den wir Abschluss oder Zeugnis nennen. Da wohl damals nicht so viele Menschen solch einen Zettel hatten, wurde ich kurzer Hand gleich an 8 Schulen unserer Stadt in diesem Fach eingesetzt. Ich war also so eine Art moderner „Wanderprediger“. Nur ohne Esel. Losgezogen mit hohen Idealen. Und dann relativ schnell auf den harten Boden der Tatsachen zurückgeholt. Ich wurde in der Folge in mehrfacher Hinsicht von meinem neuen Beruf enttäuscht.
Anfangs ging ich noch davon aus, dass es meine Aufgabe wäre, Dinge die ich gut konnte und wusste an Kinder weiterzugeben. Sie interessiert zu machen, sich selber mit den für sie interessanten Dingen des Lebens zu beschäftigen. Schulkinder aus sich selbst heraus zu kreativen und neugierigen Wegbereitern für ihr eigenes Leben zu machen. Schon nach der ersten Woche wurde mir klar, dies war eine sehr romantische Vorstellung, die nichts mit der Realität von Schulbildung in Deutschland zu tun hatte. Ziel von Bildung in unserem Land ist ein anderes. Man hat in der Schule vorgegebene Pflichten zu erfüllen und wenn man dies gehorsam tut, bekommt man gute Zensuren. Die Idee dahinter ist wahrscheinlich, wenn man in der Arbeitswelt seine Pflicht erfüllt, bekommt man das vermeintlich wichtigste, nämlich viel Geld. Das war vor zwanzig Jahren so und hat sich in 90% unserer Schulen bis heute nicht geändert. Problematisch daran ist, dass dieses Bildungssystem für einen Angestelltenapparat gemacht, wie er vor 200 Jahren in Preußen gebraucht wurde. Wir brauchen aber in Zukunft Menschen, die anders ticken als preussische Soldaten. Die nächsten Jahre werden unser Zusammenleben im Privaten und in der Arbeitswelt grundlegend verändern. Dabei ist es egal ob die einen es nun Digitalisierung nennen, die anderen Globalisierung und die Dritten Irgendwas 4.0. Es bewegt sich was. Und zwar schneller als dem ein oder anderen lieb ist.

Aber es gibt durchaus auch einige gute Beispiele auch im Bereich Bildung, wie man sich dieser Herausforderungen annehmen kann. Nun ratet einmal an welchen Schulen das besonders häufig vorkommt? Genau! Dort, wo es Freiräume gibt. Wo man etwas ausprobieren kann. Und das sind selten die staatlichen Schulen. Nur Schulen in freier Trägerschaft können sich einer Kontrolle durch die Bildungsministerien etwas entziehen.  Dies weiß die Politik genau, würde es aber nie laut sagen. Was man hört ist: „Staatliche Schulen sind nicht schlechter als die in freier Trägerschaft.“ Im Umkehrschluss hieße das ja, „Private“ machen auch einen guten Job. Warum kann man sie dann nicht gleichstellen?

Dabei wäre es doch so einfach.

Ein Versuch

Liebe Bildungsminister, gebt doch bitte, bitte auch den staatlichen Schulen einfach viel mehr Leine und habt vertrauen. Die Lehrer machen das schon. Kindern zu helfen und auf das Leben vorzubereiten ist das, was wir gelernt haben und ihr eben nicht. Kontrolliert die richtigen Dinge. Dieser ganze Statistikwahnsinn macht doch kein besseres Schul- und Bildungssystem. Wir brauchen modern ausgebildete und gut motivierte Lehrer.

Allerdings spreche ich von talentierten Menschen, die diese Berufsbezeichnung auch verdienen. Das müsstet ihr kontrollieren lassen und in einem fruchtbringenden und „gerechten“ Wettbewerb organisieren, der sich auch finanziell auszahlt. Lehrer denen es besonders gut gelingt, Kinder auf das Leben vorzubereiten, müssten mehr wertgeschätzt werden, als die, welche körperlich nur anwesend sind. Warum fördert ihr nicht die freien Schulen mehr als bisher?  Ich weiß schon, weil ihr es per Gesetz nicht braucht. Aber hätte das gesamte Bildungssystem nicht etwas davon, wenn einzelne Schulen revolutionäre Ansätze einmal testen würden. Sie könnten eine Art Bildungsforschungsplattform darstellen, welche neue Konzepte auf den Weg bringen. Wenn sie gut sind, werden sie in der Breite übernommen.

Allerdings gelingt dies leider nicht ohne breite Unterstützung des Staates. In welchen Bereichen wäre eine größere Unterstützung durch den Staat sinnvoll?

  • Gleichbehandlung in der finanziellen Unterstützung zwischen Staatlichen und freien Schulen
  • staatliche Weiterbildungsangebote – freie Schulen werden hier stark benachteiligt
  • Wenn öffentliche Schulen die Strukturen und Konzepte der „Privaten“ übernehmen, sollte dies von staatlicher Seite mehr wertgeschätzt werden.

Zur Verdeutlichung, das IQMV (Institut für Qualitätsentwicklung Mecklenburg- Vorpommern) hilft gerade staatlichen Schulen, welche an dem Projekt Netzwerkschule teilnehmen, neue Verwaltungsstrukturen in den besagten Schulen aufzubauen. Nur diese „neuen“ Verwaltungsstrukturen sind einfach von den „Freien“ gekupfert. Das ist nicht weiter schlimm, aber ich fürchte diese Vorgehensweise wird nicht reichen, denn die Rechnung wurde hier ohne den Wirt (in unserem Fall, die Lehrer an den betreffenden Schulen) gemacht. Sie sind andere Arbeitsweisen gewöhnt und bekommen nun wieder einmal was Neues verordnet. Dadurch wird sich aber die Art und Weise, Kinder zu unterrichten und auf das Leben vorzubereiten, nicht ändern.

Faule Säcke?

Worüber sich die meisten Menschen so gut wie keine Gedanken machen ist der Fakt, dass wirkliche Lehrer nicht nur Wissensvermittler sind, die vormittags recht und nachmittags frei haben.  Wusstet ihr, dass es eine offizielle Formel für das Umrechnen der wöchentlichen Arbeitsstunden eines Lehrers gibt.

Unter Beachtung aller Faktoren wie z.B. Vorbereitung, Nachbereitung, Klassenfahrten, Elternabende, Dienstberatungen, Weiterbildungen, Ferien etc. kommen Lehrer auf eine wöchentliche Arbeitszeit von 45 Stunden.

Für viele Kinder sind sie viel mehr als nur ein Lehrer. Gerade für Kinder aus schwierigen Familienverhältnissen sind sie häufig die wichtigste Bezugsperson. Ihre eigentliche Arbeit beginnt dann erst nach dem Unterricht, nämlich als Sozialarbeiter, Verhaltens-, Motivations- und Emotionscoach. So leisten viele Lehrer heute an den unterschiedlichen Schultypen, in verschiedenen Klassenstufen, in allen sozialen Problemgebieten geradezu Übermenschliches, um Kindern in der Schule den Halt zu bieten, der ihnen zu Hause fehlt. Sie bemühen sich, in der Schule Lücken zu füllen, die draußen entstanden sind. Nicht wenige überfordern sich damit. Die Berichte von nervösen Zusammenbrüchen und ernsten Gesundheitskrisen gerade in der engagierten Lehrergeneration über Vierzig sind längst keine Ausnahme mehr. Dort wirkt das Gerede vom faulen Lehrer geradezu zynisch. Verantwortungslos vom Staat ist dabei zum einen, dass diese Lehrer nicht dafür ausgebildet wurden und zum anderen sich alleingelassen fühlen. Wäre es nicht endlich einmal an der Zeit, dass Lehrer in einer breiten gesellschaftlichen Debatte aufgewertet und auch wertgeschätzt werden, ohne Unterschied zwischen staatlicher oder privater Schule.

Mein Neuanfang nach 20 Jahren staatlicher Schule

Seit diesem Schuljahr habe ich mich entschieden an eine Schule in freier Trägerschaft zu wechseln. Mein neues Hobby heißt also Montessoripädagogik. Und die ist sehr heilsam für mich, obwohl sie auch schon 100 Jahre alt ist und hier und dort angepasst werden muss. An der alten Schule war ich kurz davor mein Interesse an dem zu verlieren, was ich eigentlich gut kann, nämlich Menschen zu erreichen und zu begeistern.
Mein erstes Fazit nach 6 Wochen ist, dass viele meiner Kollegen glücklicher wirken als an meiner alten Schule, obwohl sie wahrscheinlich weniger verdienen. Das Engagement ist sehr groß und immer kompromissorientiert. Ein Schulleiter der einen Plan zu haben scheint, ist wohl auch sehr dienlich für eine gute Schule, denn so einen haben wir hier.

Es gibt hier freies Essen für alle Lehrkräfte. Jeder Lehrer hat ein iPad oder MacBook und den dazugehörigen Arbeitsplatz. So verbringt man gern mehr Zeit freiwillig in der Schule, weil man arbeitsrelevante Dinge hier erledigen kann. In jedem Unterrichtsraum ist Apple TV installiert, zum einen braucht man dadurch weniger kopieren und zum anderen kann man dieses Medium ganz spontan zur Veranschaulichung von Informationen nutzen. Nicht zu vergessen ist die wirklich gut funktionierende Internetverbindung, weil wir ja so viel über Digitalisierung sprechen. Dies sind nur einige Dinge, die sich gravierend von meinen Erlebnissen an staatlichen Schulen unterscheiden. Ich freue mich jeden Tag diesen Schritt getan zu haben.

Es ist schon recht interessant wie unser Bildungsministerium seine Hausaufgaben macht. Da ich die letzten Jahre nicht im Fach Religion unterrichtete, nahm ich mir die Rahmenrichtlinien für dieses Fach in die Hand, um mich auf den neusten Stand zu bringen. Als wenn seit 15 Jahren nichts passiert ist, sind diese zu meinem Erstaunen aus dem Jahr 2002. Gut, also werde ich mir selber überlegen, wie ich den Begriff Digitalisierung in meinem Unterricht mit Leben fülle. Darüber fand ich nämlich nichts.

Freie Lehrer an wettstreitenden Schulen
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