Der Artikel „Denkfehler der New-Work-Bewegung“ von Lars Vollmer wird zum einjährigen(!) Jubiläum plötzlich wieder durch meine Twitter-Timeline gespült. Hier nur ein paar Beispiele:

Altes Thema, neue Brisanz

Und ich habe bereits letztes Jahr beim Lesen gedacht: „Nee, irgend etwas stimmt da nicht. Irgendetwas stört mich“ Da der Beitrag damals aber zumindest in meiner Wahrnehmung nicht annähernd so viel Resonanz erfahren hat, wie andere durchaus kritische Wortmeldung zum Thema New Work (Stichwort: „Epes elitärer Scheiß„), habe ich mein Unwohlsein auch schnell wieder beiseite gelegt. 

Als ich nun aber diese zahlreiche Leseempfehlungen bekam, die den Weitblick des Artikels lobten, wurde ich unsicher. Hatte ich vielleicht etwas übersehen? Was genau hat mich gestört? Also beschloss ich mir die Argumentation von Lars Vollmer (den ich im Übrigen sehr schätze) noch einmal mit einem Jahr Abstand und einem Jahr mehr New Work Erfahrung anzuschauen.

Wider Erwarten war es jedoch so, dass sich meine kritische Haltung nach dem zweiten Lesen eher noch verstärkt hat. Und ich glaube auch festmachen zu können, woran es liegt.

Die (berechtigte) Frage nach dem Markt

Ich selbst arbeite für eine Innovationsberatung und es ist mir in unserer täglichen Arbeit, ein zentrales Anliegen, bei jeder Art von Change Prozess die zugrunde liegende Motivation in den Vordergrund zu stellen. Warum sollte ein Unternehmen sich überhaupt umstellen? Was genau möchte man damit erreichen? Welche Marktbedingungen haben sich geändert? Welche Kundenbedürfnisse könnten ohne eine Veränderung künftig nicht mehr wettbewerbsgerecht bedient werden?

Ich stütze mich dabei im Übrigen sehr stark auf die von Lars Vollmer und Mark Poppenborg im Rahmen des intrinsify.me Think Tanks vorgestellten Ansätze (im Detail erklärt im Artikel Future of Work – Warum braucht es überhaupt eine neue Arbeitswelt?)

Die grundsätzlich Argumentation des Artikels ist für mich daher aus Marktsicht erwartungsgemäß absolut schlüssig.

Einige Menschen haben sich zusammengetan, um gemeinsam etwas zu schaffen, was eine ausreichende Anzahl Kunden gerne haben möchte.

Lars Vollmer

Wer also Arbeit ohne Marktdruck umgestaltet, weil er sie irgendwelchen Trends folgend „moderner“ oder seinen eigenen Moralvorstellungen folgend „menschlicher“ machen will, kann damit krachend vor die Wand fahren. 

Lars Vollmer

Langfristig die falsche Perspektive

Aber an dieser Stelle ist mir aufgefallen, was mich die ganze Zeit gestört hat. Die Unternehmen werden hier – durchaus nachvollziehbar – ausschließlich aus wirtschaftlicher Perspektive betrachtet. Dass Unternehmen in erster Linie einmal dazu da sind, dass Menschen im wahrsten Sinne des Wortes gemeinsam etwas unternehmen, tritt in den Hintergrund.

Der finanzielle Erfolg dominiert alles andere. Das vielzitierte Ziel ist: Make Money for the Owner. Und daher wird automatisch angenommen, dass es die höchste Priorität eines Unternehmens sein sollte, den Markt zu befriedigen. Ich sage bewusst „sein sollte“. Denn es ist unbestritten, dass dies heute de facto genau so ist. Was mich aber stutzig macht, ist die Tatsache, dass überhaupt nicht hinterfrage wird, ob es auch genau so „sein sollte“.

Hier liegt meines Erachtens der wirkliche Denkfehler. Das Ziel von New Work sollte es meines Erachtens nicht sein, die Art der Zusammenarbeit neu zu definieren. Das Ziel sollte es sein, den Sinn von Arbeit neu zu definieren. Die kurzfristige Befriedigung von Kundenbedürfnissen zur langfristigen Befriedigung von Shareholderbedürfnissen ist kein nachhaltiges Wirtschaftsmodell. 

Wenn es tatsächlich nur darum ginge, den Markt zufriedenzustellen, so wie es Lars Vollmer in seinem Artikel nahelegt, dann wird nicht nur die New Work Bewegung scheitern sondern auch viele andere Bewegungen, die sich mit der positiven Gestaltung des Zusammenlebens beschäftigen.

New Work stellt die richtigen Fragen

Statt also den Wunsch nach Menschlichkeit und Innovation vor dem Hintergrund fehlender Marktperspektive zu kritisieren, sollte man sich die Frage stellen, ob dies langfristig überhaupt die richtige Perspektive ist. Wenn wir Unternehmen allein im wirtschaftlichen Kontext betrachten, ist die ursprüngliche Analyse absolut nachvollziehbar. 

Wenn wir aber unsere Gesellschaft (und damit auch unsere Wirtschaft) wirklich nachhaltig voranbringen wollen, dann müssen wir Unternehmen in Zukunft in einen Gesamtkontext stellen. Unternehmen bewegen sich an der Schnittstelle zwischen Unternehmenseigentümern, Mitarbeitern, Kunden, Umwelt und Gesellschaft. Für eine echte Verbesserung der (Arbeits-)welt muss eine Struktur geschaffen werden, in der sich ein Unternehmen nicht nur den Unternehmenseigentümern (und damit indirekt den Kunden) verpflichtet fühlt, sondern allen Beteiligten, mit denen es interagiert. Ansonsten kann das dauerhafte Spannungsverhältnis zwischen Ausbeutung und Moral nicht nachhaltig aufgelöst werden, da im Konfliktfall das Argument „Markt“ immer mehr Macht hat als das Argument „Mensch“.

Solange Unternehmen nur erfolgreich sind OBWOHL sie Wert auf #Menschlichkeit, #Nachhaltigkeit und #Gemeinwohl legen und nicht WEIL sie das tun, liegt der Denkfehler nicht bei #NewWork sondern im Anreizsystem der Wirtschaft. Click To Tweet

Einige Möglichkeiten, wie man sich diesem Konflikt nähern kann, habe ich kürzlich in einem #ImproBlog beschrieben: Gemeinwohlökonomie für Fußgängerinnen

New Work vs. Wirtschaft – Wenn der Mensch dem Markt zum Opfer fällt
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2 thoughts on “New Work vs. Wirtschaft – Wenn der Mensch dem Markt zum Opfer fällt

  • 17. August 2018 at 13:55
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    Hallo Gregor!

    Vielen Dank für Deinen Artikel. Ich freu mich sehr, dass ich mit meinen Gedanken nicht alleine bin. Ich glaube, Lars Vollmer missversteht vieles von dem, was New Work (wirklich) möchte.

    Niemand wendet sich dagegen, Kundenbedürfnisse zu befriedigen und auch Profit zu machen. Aber das „eigentliche Ziel“ einer Organisation sollte ein ganz anderer sein. Und natürlich muss es Wege finden, dieses Ziel auch profitabel zu erreichen.

    Mit Vollmers Argumentationsweise kann man sogar Dumpinglöhne (oder schlimmeres) sinnvoll vertreten: Solange es die Bedingung „Kundenwunsch“ erfüllt.

    1) Unsere Kunden wünschen sich günstigere Produkte.
    2) Dumpinglöhne machen unser Produkt deutlich günstiger.
    K) Wie zahlen nur noch Dumpinglöhne.

    Läuft!

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    • 19. August 2018 at 22:19
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      Hallo Lars,

      vielen Dank für dein positives Feedback. Ich habe das Gefühl, es gibt sogar noch viel mehr Menschen, die ähnliche Gedanken haben. Das zeigt sich ja auch in vielen tollen Initiativen, Artikeln oder Veranstaltungen. Ich frage mich häufig, wie man diese Ideen und Ansätze am effektivsten in die Umsetzung bringt.

      Vor diesem Hintergrund muss man Lars Vollmer zu Gute halten, dass er mit intrinsify.me zumindest erstmal ein Forum geschaffen hat, in dem sich viele Leute dazu austauschen können, wie Arbeit besser gestaltet werden kann, womit er sicher auch maßgeblich zur „Renaissance“ der New-Work-Bewegung beigetragen hat.

      Die reine Betrachtung aus Marktsicht, war m.E. auch eine sehr gute Strategie, um den Wandel der Arbeitswelt auch in den Chefetagen zumindest erstmal salonfähig zu machen. Aber genau wie Du bin ich überzeugt davon, dass das nur ein Zwischenschritt sein kann. Dein Beispiel mit den Dumpinglöhnen zeigt ja sehr anschaulich, was passieren würde, wenn wir da jetzt stehenbleiben.

      Ich bin mir sicher, dass auch Lars Vollmer da mit einem Jahr Abstand mittlerweile eine etwas andere Perspektive hat. Wäre ja interessant zu sehen, ob er darauf reagiert.

      Wie auch immer, ich glaube, das was wir auf jeden Fall tun können, ist immer wieder darauf hinweisen, Denkanstöße liefern und in die Diskussion gehen. Und wo möglich, neue Ansätze testen und daraus lernen. Das ist zumindest mein ganz persönliches „Indem“-Ziel, was die Veränderung der Arbeitswelt angeht. 😉

      Viele Grüße,
      Gregor.

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